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0. Freunde kommen von weitem her 有朋自远方来

Aktualisiert: 5. Aug. 2022

Freunde kommen von weitem her 有朋自远方来 - Bistro Ginkgo von innen (2)



Von Min Busch, Venlo, den 27. Juni 2022

sowie Bistro Ginkgo, den 28. Juni 2022



Prolog


Konfuzius sagt:

有朋自远方来,不亦乐乎?


Das waren für mich die ersten Sätze, die ich mir als Kind beim Auswendiglernen der klassischen chinesischen Texte einprägen musste. Sinngemäß: Sollte man nicht höchst erfreut sein, wenn Freunde von weitem her zu Besuch kommen? Die Frage ist eine Scheinfrage, wobei man mindestens drei Ausrufezeichen benötigt, will man die Konnotation ausdrücken. So groß ist die Freude für Konfuzius, wenn er zu Hause Freunde von weitem her erwarten darf.


Konfuzius spricht mir aus der Seele. Am großen schönen Tisch 1 sitzend, bei offener Tür, auf die Straße "Am Buchenbaum" schauend und geduldig auf hungrige Gäste wartend, kommt es mir vor, als säße ich in einem Kreuzfahrtschiff und sähe die Landschaften vor meinen Augen vorbeiziehen. Bloß am großen Fenster von unserem kleinen, stillen Bistro ziehen eher Menschen auf einem elektrischen Roller, auf einem Fahrrad oder auch zu Fuß vorbei. Einige von ihnen halten kurz an und lesen unsere Werbetexte und gehen weiter. Andere halten ein Handy in der Hand, treten ein ohne zu Zögern. Google sei Dank! Man kann uns mittlerweile gut finden.


Ein Grund, dass mein Mann und ich süchtig nach Kreuzfahrten waren, war die Tatsache, dass wir in einem italienischen Schiff bei vielen Mahlzeit immer andere, fremde Personen am Tisch sitzen hatten, mit denen wir meistens ein angenehmes Gespräch führten. Dabei bleibt man zwar anonym, trifft sich zum ersten Mal im Leben, aber die Informationen, die ins Gespräch hinein fließen, sind oft von privat bis fast intim. Da es sich um ein internationales Publikum handelt, war für uns super spannend, durch so ein lockeres Gespräch einen kurzen Einblick in das Leben einer anderen Nation zu erhalten. Wir lernten nacheinander die Schiffe MSC Meraviglia, Aida Nova und Costa Fascinosa kennen. Die Italiener und die Deutschen haben fast diametral entgegengesetzte Konzepte: Italienische Leidenschaft und Stimmung. Frühstück, Mittagessen und Abendessen auch beziehungsweise vor allem im Bedienrestaurant, nur abends mit festen Sitzen und gleichen Nachbarn. Wer Gespräche mit Menschen aus aller Welt sucht, der ist bei den italienisch geprägten Anbietern bestens aufgehoben. Dazu gehören mein Mann und ich. Eine 21 tägige Positionierungsfahrt von Genua nach Santos bot in Sachen Tischnachbarn die meisten Gelegenheiten, was uns quasi ein UNO-Gefühl bescherte. Wir haben abends in einem kleinen Bedienrestaurant gegessen. Mit freier Zeit und Tischwahl. Menschen-Kontakte kann man nicht mit Geld erkaufen. Man kann mit einer Reise Chancen erstehen, aber wen man trifft, obliegt dem Zufall.


Jede Reederei hat eine eigene Philosophie, die auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten ist. Aida ist für uns das Kontrastprogramm zu MSC bzw. Costa. Im brandneuen Schiff Aida Nova war die Innenausstattung schick und hell. Die Restaurants waren klein und vielfältig. Das Publikum war nahezu ausnahmslos deutsch. Sauberkeit, ein schickes Ambiente, luxuriöse Saunalandschaft sowie Bingo mit Moderator im Stil einer TV Talkshow sind scheinbar sehr wichtig. Und Deutsche brauchen im wohlverdienten Urlaub Abstand zu fremden Menschen. Wenn ein Restaurant gut gefragt ist, dann muss der Passagier eben vorher reservieren. Warum denn das? Weil man unter sich bleiben will und eine gewisse Distanz zu seinen Mitpassagieren wünscht - Gewohnheit und Psychologie. Die Tische stehen mit großem Abstand. Und wenn eine Person an einem Tisch sitzt, dann bleiben halt die anderen vier Plätze frei. Kleine Tische dicht an dicht? Undenkbar! In der Tat haben wir an den sieben vollen Tagen nur drei nette Gespräche mit anderen Gästen des Schiffes geführt. Ein anderes Phänomen: Vor der abendlichen Buffeteröffnung in den SB-Restaurants standen Gäste in einer langen Schlange. Gleich nach dem Öffnen der Restauranttür strömt die gesamte Menschenmenge in den schön dekorierten Saal hinein, als hätte man vorher Tagelang gehungert. Ich hatte den Eindruck, die Menge des Essens war wichtiger als die Qualität. Wir waren offensichtlich atypische Aida Kunden und gehörten zur einer Minderheit. Das fanden wir nach wenigen Stunden auf dem Schiff schnell heraus. So sagten wir uns: Wer sich aufs falsche Schiff verirrt hat, der ist selbst schuld.


Die Costa Fascinosa Positionierungsfahrt war für uns eine facettenreiche Lernzeit: Wir wussten, dass wir Bistro Ginkgo eröffnen werden. Wir wussten, dass ich kochen kann. Und wir wussten, dass wir branchenfremd sind und im Grunde genommen nichts über das Betreiben einer Gastronomie wussten. Im Restaurant im Dachgeschoss des Schiffes konnten wir drei Wochen lang erleben, wie die Suiten Gäste mit Essen und Service verwöhnt wurden. Das kostete für uns einen Zuschlag, versprach aber lehrreich für unsere Gastronomischen Pläne zu sein. Glaskuppeldach sowie der Meerblick rundum rund das Programm ab. Fremde Gäste sitzen auch hier teilweise an kleinen, rechteckigen Tischen mit zwanzig Zentimeter Abstand zueinander. Zumindest, wer alleine oder zu zweit unterwegs ist. Man hat einen eigenen Tisch, aber dennoch liegen Gespräche mit Nachbarn aufgrund der großen räumlichen Nähe nahe. Und wie alle Gäste gesprächig waren! Schnell erfuhren wir, dass die linken Sitznachbarn aus Köln kämen, der Vater des Mannes einen Weinhandel führt und er entsprechend mit Weinverkostung vertraut war. Und wir erfuhren, dass das rechte Pärchen aus Österreich stammt, in Spanien lebt und jedes Jahr dasselbe Schiff und dieselbe Route bucht. Vom Mittelmeer über den Äquator nach Brasilien. Unsere gemeinsame Tour war für die beiden schon die vierte Fahrt. Sie erzählten uns, dass das Fahrgewässer jedes Jahr im November so ruhig sei, als würde man auf einem ruhigen Binnensee kreuzen. Schnell fanden wir die Gesprächspartner sympathisch und haben uns dann im Laufe der Zeit hin und wieder mit ihnen zum Abendessen an einem gemeinsamen Tisch verabredet. Die einen sammelten die in den Suite verteilten Menükarten für mich, so dass ich täglich wechselnden Gerichte und Menüs zur Hand habe, wenn wir wieder zu Hause sind und unser Bistro Ginkgo auf dem Markt positionieren wollen. Mit den anderen tauschten wir uns über Immobilienverwaltung aus, denn das ist das Geschäft, das uns ernährt und überhaupt die Möglichkeit schenkt, das Bistro Ginkgo aufzubauen.


So stellte ich mir unser Bistro Ginkgo vor: Ein Ort des sinnlichen Genusses mit Speis und Trank auf der einen Seite und zugleich ein Ort des menschlichen Austausches unter und mit unseren (internationalen) Gästen. Nachdem wir am 16. Juni 2022 unser Bistro Ginkgo 2.0 gestartet haben, gewinnen wir den Eindruck, dass wir mit dem unsere Signatur tragenden Produkt "Vegan und vegetarisches Menü Buffet" zum in sich stimmigen Konzept gefunden haben. Wir liefern nicht mehr aus, weil das vegane Essen unter der Lieferzeit zu sehr leidet. So brauchen wir "nur" da zu sein, immer an der Adresse "Am Buchenbaum 20, 47051 Duisburg", die Türen stets geöffnet, um unsere Gäste herzlich willkommen zu heißen. An unserer ruhigen Gasse in der Innenstadt haben wir selten Laufkundschaft. Mit anderen Worten: Die Menschen, die an unserem Geschäft zufällig vorbeigehen, brauchen uns nicht. Die Gäste, die an uns herantreten, haben sich vorher im Internet informiert. Darum bilden unsere Hausgäste ein völlig anderes Profil ab, als unsere früheren Lieferkunden. Während der Zeit des Corona-Lockdown war es für mich extrem schwierig, für Menschen, die ich nie zu Gesicht bekommen habe, zu kochen. Qualitätsmaßstäbe für die Lieferung reduzieren sich im Wesentlichen auf: Schnell, heiß und Fahrer freundlich. Für meinen Mann und mich unbefriedigend. Dafür haben wir nicht das Bistro Ginkgo eröffnet.


Allein nach zwei Wochen, acht Geschäftstagen Bistro Ginkgo Version 2.0 wissen wir, dass wir die Kundenzufriedenheit auf nahezu 100% erhöht haben. Ich schätze, über 80% unserer Gäste sind begeistert. Das hat meine Erwartung übertroffen und macht mich als Schöpferin meiner Kunst sehr glücklich. Ich bin endlich frei und darf mich so entfalten, wie ich es für richtig und sinnvoll halte, sehe die Person vor mir, beobachte die Reaktion auf die kalten Vorspeisen und kann spontan die warmen Gerichte für diese Person anpassen. So entwickele ich mich weiter, und der Gast bekommt einen möglichst auf ihn abgestimmten Gaumengenuss, ohne individuell für sich bestellt zu haben. Diese Face to Face Kommunikation passiert non-verbal und verbal zugleich. Beim positiven Feedback bin ich so schön motiviert, dass ich außer "Besserwerden" keine Alternative habe!


Ich schätze die gemeinsame Zeit mit den Gästen sehr. Sie kommen aus ganz Deutschland und aller Welt. Sie sprechen verschiedene Muttersprachen aber haben eine Gemeinsamkeit: Sie lieben meine Küche! Das macht mich so unglaublich glücklich! Als ich vor zwei Tagen von einer Freundin, die in Ludwigshafen wohnt, gefragt wurde, wie das Geschäft seit der Wiedereröffnung läuft, war meine Antwort: "Monetär zwar schwach, aber reich an Erfahrungen!" Und ergänzte hinzu: "Die erforderliche Besucherzahl wird bestimmt kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit."


So sitzen wir hier im Bistro Ginkgo und warten von Donnerstag bis Sonntag darauf, von echten Fans des "natürlichen Essens" - im Fachjargon auch "real food" genannt - besucht zu werden. Die Wartezeit nutze ich gerne, dieses Buch zu schreiben: Für Freunde des Bistro Ginkgo, damit die genauso wie wir, ihre Gleichgesinnten treffen können.


In diesem Buch, einer Sammlung von Essays über meine Gäste, werde ich versuchen, die liebenswürdigen Seiten meiner Gäste mit meiner Feder zu skizzieren. Gast für Gast. Anonymisiert selbstverständlich. Sollte unter meinen Lesern jemand seine eigene Spur wiedererkannt und zugleich festgestellt haben, dass seine Skizze doch etwas verzerrt ist, dann bitte ich hier im Vorfeld schon einmal um Verzeihung. Denn bevor der Spiegel das wahre Ebenbild von uns zeigen konnte, hat die Menschheit Jahrtausende lange mit verzerrten Bildern von sich selbst leben müssen. Außerdem möchte ich weder mit der Fotokamera noch mit der Videokamera konkurrieren, sondern es geht mir darum, mit den uralten, natürlichen Kommunikationsmethoden ein geistreiches "Menü Buffet" zuzubereiten und anzubieten. Betrachten Sie bitte jedes Essay als ein Gang in meiner Menüfolge. Was Ihnen nicht schmeckt, überspringen Sie bitte einfach. Und ich hoffe am Schluss, dass Sie trotzdem satt werden - und hoffe auf Ihre Begeisterung!


Guten Appetit

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