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2. Freunde kommen von weitem her - Bistro Ginkgo von innen (2)

Von Min Busch, Duisburg, den 29. Juni 2022 sowie Duisburg, den 3. Juli 2022


2. Deborah aus den USA


Deborah ist eine Schönheit. Nachmittags um drei, als ich mich selbst schon fragte, wofür wir überhaupt den leeren Laden betreiben sollen, spazierte sie in einem passgenauen Kleid schwebend hinein. In ihren Bewegungen versteckte sich so eine Anmut, dass ich dachte, sie könnte von Beruf Model sein. Doch mit etwa 1,70 m war sie für ein Modell vielleicht nicht groß genug? Auffällig war der spezielle Kragen des langen Kleides, der in langen Schleifen endete, die sie dreimal lose an ihrem langen Hals wickelte und dann seitlich zu einer Schmetterling ähnlichen Knote zusammenband, als trüge sie eine extravagante Halskette. Auch ihre geradlinige Körperhaltung zeigte das Selbstbewusstsein, um das sie bestimmt viele Menschen beneiden. Auf die Frage, wie alt sie sei, antwortete sie: "Ich bin 24, habe aber eine Seele wie eine 50 jährigen." Selbstverständlich fragt man eine junge Dame nicht gleich nach dem Alter. Wir sprachen über unser jeweiliges Alter erst, nachdem sie sich bereits drei Stunden bei uns aufgehalten hatte und unser Gesprächsthema bereits von Essen zu anderen Themen gewechselt hatte.


Und nun einmal zurückspulen bitte. Ich habe noch nicht erwähnt, dass Deborah ziemlich dunkle Haut hat. Ihre Sprache ließ erkennen, daß sie vermutlich aus den USA kommt. Im Laufe des Gesprächs erläutert sie: "Ich habe einen amerikanischen Pass, aber gebürtig bin ich aus Ghana. Dort bin ich aufgewachsen." Und wie hat sie uns gefunden? Deborah erzählte, dass sie sich unser Bistro Ginkgo ausgesucht hatte, weil sie gerne asiatisch isst. Asiatisch und zugleich vegan-vegetarisch umso lieber. Doch sie hatte sich verlaufen, machte einen Umweg und war nun wirklich hungrig. "Das freut mich richtig, so bekommen Sie ein ausgedehntes Menü, und werden bestimmt angenehm satt. Keine Sorge, bei uns werden Sie nicht mit Kohlenhydrate vollgepumpt." "Das ist so wunderbar, denn ich mag es nicht, wenn ich nach dem Essen schläfrig werde." "Da sind Sie bei uns genau richtig."


Mein Mann servierte ihr unser hausgemachtes Kimchi mit frischen Mungobohnensprossen, unseren Teriyaki Kombu, den Gurken Wakame Salat mit japanischem Sesamöl sowie einen kleinen Happen unserer hausgemachten Nudeln mit Erdnusssoße süß sauer und frisch geriebenem Knoblauch. Deborah saß allein am Tisch zwei mit einem "Auto Blick", pflege ich scherzhaft zu sagen. Doch um die langweilige Aussicht auf die Karstadt-Anlieferung zu kompensieren, hatten wir extra einen angenehmen ledernen Hocker gekauft, auf dem man sich alleine oder auch zu zweit wohlfühlen kann. Dort saß sie, ihre Handtasche legte sie einfach auf den Boden. "Bringen Sie ruhig alles her, ich esse alles!"


Ihre Ausdrucksweise in muttersprachlichem Englisch ist höflich, wohl überlegt, sie hat eine großen Wortschatz, soweit ich es mit meinem fremdsprachlichen Englisch es einzuordnen vermag. Deborah suchte das Gespräch: Lieber geht sie in ein kleines Lokal, in dem die Atmosphäre persönlich ist und eine größere Chance besteht, das die Gästen miteinander plaudern. In Ermangelung anderer Gäste muss sie zunächst mit uns vorlieb nehmen, während sie eine gesunde, wohlschmeckende Mahlzeit zu sich nimmt. Sie sei in Ghana aufgewachsen, bis sie acht Jahre alt wurde. Danach sei sie mit ihren Eltern in die USA ausgewandert, wo sie ihren Bachelor Abschluss erlangte und nun in Deutschland als Au Pair Mädchen bei einer Familie tätig sei. Heute habe sie frei, endlich kann sie ihr Wochenende genießen. Und sie fühle sich etwas einsam in Deutschland. Denn erst seit knapp einem Monat lebt und arbeitet Deborah in Deutschland. Damit habe ihre Mutter große Probleme. Vor einer Stunde hatte sie ihre Mutter angerufen, wollte ihr sagen, dass sie sie liebt, auch wenn sie vorerst weit weg von Zuhause ist. Doch die Mutter wollte vom Liebesgeständnis der Tochter gar nichts wissen und legte nach kargem, förmlichem Gruß einfach den Hörer auf. "Schwierig für Ihre Mutter, die eigene Tochter aus dem Nest wegfliegen zu sehen", so verstehe ich den Schmerz der Trennung vonseiten ihrer Mutter. "Aber ich bin doch nicht aus der Welt, und auch nicht für immer weg. Es ist nur für ein Jahr."


Meistens verschwinde ich lieber nach einer kurzen Konversation mit dem Gast in der Küche, damit er in aller Ruhe sein Essen genießen kann und sich unbeobachtet fühlt. Nicht doch bei Deborah. In ihren Augen sah ich einen Hauch Melancholie - und starken Heimweh. "Wissen Sie, meine Mutter ist sehr konservativ. Ich bin eine Frau. Und ich bin im heiratsfähigen Alter. Ich sollte gehorsam sein, mir eine gute Partie aussuchen, heiraten, Kinder bekommen und so ein glückliches Leben führen. Und nicht mit einem weißen, deutschen Schwaben liiert sein, in die weite Welt ziehen." Ich schaute ihr in die Augen und sah mein eigenes Ebenbild in ihr. Deborah tat etwas, was gegen die Konvention und Tradition ist. Genau dasselbe tat auch ich, als ich in ihrem Alter war.


Puh, so viel persönliche Worte, so viel Emotionen. Ich dachte, ich halte diese Intensität des Austausches nicht aus. Corona hat Menschen isoliert. Oder etwa nicht? "Können Sie sich vorstellen, dass mich vor vier Monaten Selbstmordgedanken nicht loslassen wollten?" Ich nickte und schwieg. Hat Deborah wirklich die Seele einer Fünfzigjährigen? "Ich musste weg von den Staaten, ich brauche neue Lebenserfahrungen, ich möchte die Welt sehen." So ganz nebenbei erwähnte sie, dass sie BWL mit dem Schwerpunkt Human Ressource studiert hat und der Umgang mit Menschen ihr liegt. Während sie so gerne von sich erzählte, las ich aus ihrem Gesicht immer wieder ein zufriedenes Lächeln, das mit dem allmählich erreichten Sättigungsgrad Schritt hielt. Sie mag jedes meiner Gerichte, was ich nicht nur aus ihren Worten hörte, sondern an jedem komplett leeren Teller als Bestätigung sah. Und ihre Auffassungsgabe überraschte mich sehr: "Sie gehen den Weg Deindustrialisierung mit Ihren unverarbeitete Zutaten, das ist ein harter Weg, den Sie eingeschlagen haben." Und weiter: "Ich koche auch selbst. Essen ist so wichtig für unser Leben. Ich ernähre mich gesund, denn ich möchte nicht mit zunehmendem Alter unter Diabetes oder Fettleibigkeit leiden. Da muss man einfach weg von industriell vorgefertigten Sachen und sich mit "real food" ernähren. Das tue ich. Darum habe ich Ihr Restaurant im Internet gefunden."


Wow! Deborah durchschaute das Konzept sowie die Grundpfeiler von Bistro Ginkgo, obwohl sie zum ersten Mal bei uns aß, ihr Menü nicht einmal beendet hatte und ganz bestimmt nicht unsere Webseite durchgelesen hatte. "Da ich in Afrika aufgewachsen bin, hat das Essen für mich einen besonders hohen Stellenwert. Wer nicht das Glück hat, Essen zu bekommen, verhungert. Da geht es um Leben und Tod." Mehr braucht sie nicht zu erzählen, denn ich bin auch mit der Knappheit von Lebensmitteln sehr vertraut. Sie kann es nicht ansehen, dass man Essen wegkippt, oder Lebensmittel einfach verschwendet. Nein, das macht man nicht.


Nach einigen Gängen war Deborah satt und zufrieden, oder anders ausgedrückt zufrieden und gut gesättigt. Sie fühlte sich wohl, ohne müde zu sein, weil sie von den pflanzlichen Lebensmitteln gestärkt worden war. Nun zeigte sie mir eine Wunde an ihrem linken Handrücken. "Sehen Sie hier diesen Kratzer? Es hat richtig weh getan." Wer diese Wunde zu Gesicht bekam, kann sich den Schmerz gut vorstellen. "Und woher kommt das?" "Der siebenjährige Junge, auf den ich aufpassen sollte, verletzt mich regelmäßig, und die Eltern schauten einfach zu und sagten nichts." Ich glaube, in meinen Augen waren viele große Fragezeichen zu erkennen. "Er hat mir mit der scharfen Seite der Küchenreibe diese Wunde zugefügt, weil ich ihm beibringen wollte, dass er das Essen respektvoll behandeln soll, denn woanders auf der Welt stirbt man sogar im Kampf um die Lebensmitteln. Ja, es geht ums Essen, ohne das es uns Menschen gar nicht geben kann!"


Und wieso sahen die Eltern zu? "In ihren Augen bin ich einer Putzfrau ähnlich, die das Haus sauber halten, die ihre Supermarkteinkäufe tätigen und für die Familie kochen soll. Mit den Kindern spielen ja, aber bloß nichts an den Kindern kritisieren." "Ah, ich verstehe, in den Augen der Eltern sind Sie nicht erziehungsberechtigt", versuchte ich nun, ihre Erfahrungen mit deutschen Begriffen zusammenzufassen.


"Ich habe viel Erfahrung mit Kindern. Ich liebe Kinder, ansonsten hätte ich mir den Job als Au Pair gar nicht angetan. Aber glauben Sie mir, es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit Kindern nicht klar komme und dass meine Lust nach eigenen Kindern verdorben wurde. Echt! Und die beiden Kinder, er sechs und sie zwei, sind so schlau, dass sie die Eltern um die Finger wickeln und mich ständig reinlegen. Wenn wir zum Beispiel ein Spiel spielen, kann die zweijährige nicht verlieren. Sobald sie ahnt, dass sie verlieren wird, missachtet sie die Regeln und macht das Spiel sinnlos. So versuche ich jedes Mal, dem Mädchen die Einhaltung der Spielregeln beizubringen. Doch dann weint sie plötzlich laut und heftig, worauf der Vater aus seinem Homeoffice hinzu stürmt, um seine weinende Tochter in den Arm nahm und mich vorwurfsvoll zu fragten, was denn los sei? Dabei habe ich doch nichts gemacht. Leider interessiert es niemanden in dem Haus, was ich zu sagen habe, wie es mir geht und was ich dabei empfinde. Niemand möchte eine Erklärung von mir hören." "Oh, es tut mir schrecklich leid, vier Personen gegen eine. Schlecht für Sie", antwortete ich ratlos: "In den Augen der Eltern sind ihre Kinder einfach perfekt." Und dachte vor mir hin, ohne den Gedanken in Worten ausgesprochen zu haben: Vielleicht wollen sie ihre Kinder nicht von einer schwarzen Frau erziehen lassen? Warum haben sie sich überhaupt für Deborah entschieden? Und wo wäre die Grenze im engen häuslichen Alltag klar zu definieren, zwischen "Erziehung" und dem einfachen "Gesellschaftleisten"? Gehört eine Interaktion mit dem einen oder anderen Kind nicht automatisch zum Thema Erziehung? Wenn Kinder automatisch perfekt sind und immer recht haben, muß nicht jeder Mensch, der mit diesen beiden kleinen Menschen umgeht, immer alles einstecken, sobald es zu einem Konflikt zu kommen droht? Wie werden sie sich als Erwachsene in der Gesellschaft verhalten, sobald sie merken, dass sich unser gesamter Planet doch nicht um sie dreht? Deborah meinte zu mir: "Verzeihung, Kinder brauchen Erziehung. Kinder müssen verstehen, dass es Grenzen gibt, die sie respektieren müssen. Kinder brauchen Anleitung von Erwachsenen, mit diesen Grenzen umzugehen."


Mein Mann und ich sind mit der Auffassung von Deborah voll und ganz einverstanden - nur, wir sind nicht die Gastfamilie. Zufällig erfuhren wir, dass die Kinder in eine Montessori Schule gehen. "Oh, das erklärt einiges", meinte mein Mann. Letztendlich handelt es sich um eine spezielle Erziehungsphilosophie. Wir sehen diesen Konflikt als vorprogrammiert. Im Grunde genommen müsste diese Au Pair suchende Familie im Suchprofil klar angeben: Kritik an Kindern unerwünscht.


So zitierten mein Mann und ich von der Webseite der "Montessori Deutschland" über die Frage: "Was ist Montessori-Pädagogik?": "In der Montessori-Pädagogik steht das einzelne Kind und der/die Jugendliche im Mittelpunkt. Die Umgebungen, in der sie ihren Alltag verbringen, sind daher auf ihre jeweiligen physischen und psychischen Bedürfnisse abgestimmt." Schule ohne Noten, Lernen ohne Druck - das klingt wie ein Paradies für Kinder auf Erden? Und das Ergebnis dieser Philosophie sieht man eindeutig: In den beiden Sätzen, die ich oben zitiert hatte, enthalten 100%ig grammatikalische Fehler. Da aber diese Kinder auch erwachsen werden und man prinzipiell diese Montessori-Menschen nicht kritisieren darf, schickt es sich nicht für mich, einen Hinweis auf diese Fehler zu geben.


Deborah selbst ist in einer Welt mit "Regeln" aufgewachsen, ich auch. Mein Mann auch. Sowie der junge chinesische Student Bastian, der an der Diskussion aktiv teilnahm. So schlugen wir alle drei Deborah vor, ihre Gastfamilie zu wechseln, bevor sie selbst dort zugrunde geht. Im Grunde genommen braucht so eine Familie nur sich selbst, sie ist nicht kompatibel mit anderen menschlichen Lebewesen, denn jeder Mensch, der mit dieser Familie in Kontakt getreten ist und die Kinder nicht in den Mittelpunkt stellt, verletzt die Montessori-Pädagogik.


Zum Glück klappt es nun mit dem Wechsel, was bedeutet, dass Deborah

in eine 100 km entfernte Stadt umziehen wird, aber sie würde sich einfach in den Zug setzen, um uns zu besuchen. Sechs Stunden Zugfahrt hin und zurück mache es ihr nicht aus, um liebe Freunde wiederzusehen, sagt sie.


So hat Deborah den Rekord für einen Besuch bei Bistro Ginkgo aufgestellt: 8 Stunden! Wir haben sie abends nach dem Ladenschluss mit dem Auto nach Hause gebracht. Und wir alle hatten eine wunderschöne Zeit miteinander verbracht.


Guten Appetit!

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