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8 „Von … weg“ bis „angekommen“

Hymne an das natürliche Essen - Bistro Ginkgo von innen


Von Min Busch, Olhos de Água, den 17. Januar 2022


8 „Von … weg“ bis „angekommen“


„Von … weg“ zu wollen ist einfach. Es fällt mir auf, dass die deutsche Kultur eine „Nein“-Kultur ist, während die chinesischen Kinder seit jeher zum Ja-sagen erzogen werden. Die höchste Moral gegenüber anderen Personen in der traditionellen chinesischen Gesellschaft ist: Respekt gegenüber der älteren Generation zollen, von Erfahrungen anderer lernen und nachahmen.


熟读唐诗三百首

不会作诗也会诌


Das bedeutet: „Wer die 300 ausgewählten Tang-Gedichte auswendig gelernt hat, der kann bestimmt frei drauf los dichten, auch wenn er kein Dichter ist.“ Mit mindestens 3.000 chinesischen Schriftzeichen kommt man gut durch das Leben. Ein Abiturient, der die Aufnahmeprüfung zur Universität schaffen will, beherrscht etwa 6.000. Als ich Kind war, musste ich Zeichen für Zeichen „nachmalen“, bis jedes davon so fest im Gedächtnis verankert war, dass man ohne Überlegen darauf zurückgreifen kann, wann immer man es braucht.


Schreiben lernt ein chinesisches Kind zunächst mit einem Bleistift, dann mit einem Füller und später mit einem spitzen Pinsel, der aus Ziegenhaar oder Wolfshaar oder einer Mischung beider besteht. Die Kalligraphie ist zudem auch eine ruhige Sportart, denn die großen Schriftzeichen „malt“ man mit Kraftkontrolle, so dass die Strichführung sicher ist, ohne zu zittern, und ohne dass der Ellenbogen den Tisch berühren darf.


Diesen Bildungsweg habe ich im Gott sei Dank im Zeitalter des „analogen Lebens“ gehen dürfen. Ein steiniger, harter Weg -. Akzeptieren, Lernen, Üben, Abrufen - auf dem man bei den Prüfungen zeigt, was man bereits alles beherrscht. Der Bildungsprozess ist nichts anderes, als dass das Gehirn eines Kindes von jemand anderem programmiert wird. Wenn eine Kultur sehr großen Wert auf Innovation legt, das Auswendiglernen als zu stur, zu anstrengend oder als Zeitverschwendung verstanden wird, dann wird jedes Kind als junger Erwachsener immer gezwungen, mit eigenen Kräften über ganz viele Hindernisse zu springen. Denn die Basis des abrufbaren Wissens ist zu dünn, als dass man bei der Konfrontation mit Problemen auf Weisheit sowie Erfahrung der Altvorderen zurückgreifen kann. Das ist sozusagen der Sinn der Tradition. Die gibt es unzählige Male auf dieser Erde.


Ich schätze mich in diesem Sinn als glücklich, weil ich die „Lernfähigkeit“ als Kind erlernt habe. Während mein Gehirn früher einer CPU ähnelt, die von Programmierern wie z.B. Eltern, Lehrern, Geschwistern, Erziehern, Freunden, Vorgesetzten, Kollegen codiert wurde, so sehe ich mich heute als Ü50 selbst in der Lage, mein Gehirn einmal neu zu screenen und meine eigene CPU gründlich zu reinigen, um sie glücklich weitere 50 Jahre zu nutzen. Was mir nicht gut tut, wird gelöscht, weg geschoben, geändert; was mir gut tut, wird näher gerückt, betrachtet, genossen, vergrößert, sowie vermehrt. Nach der Aufräumarbeit im Gehirn müssten enorm große Räume entstehen, um Neues kennenzulernen, zu erkunden und Gutes davon aufzunehmen.


Genau diese Aufräumarbeit meines Lebens beabsichtige ich in dieser Winterpause mit mir selbst durchzuführen. Dazu benötige ich einen sonnigen Fleck auf dieser Erde, wo ich im Geiste sofort „runterkommen“ kann, wenn ich dort angekommen bin. Die Nachrichten, die mühelos von einer Welle zur nächsten berichten, als sei die Corona-Pandemie das einzige Geschehen auf dieser Welt, das ist trüber als der trübe Winterhimmel. Das halte ich nicht aus. Nur Probleme sehen, ohne Lösungsansätze zu entwickeln, geschweige denn sie zu lösen, diese Vorgehensweise entspricht nicht meinem Charakter.


Klar betrachtet man zuerst das Problem ganz genau, bevor man eine Lösung erarbeitet oder einem die Lösung einfällt. Aber die vierte Welle mit der Variante Omikron ist so böse, als hätte sie uns gestern gerade plötzlich kalt erwischt, wie vor zwei Jahren, wie damals.


Ich gebe zu, ich bin innerlich nicht stark genug, um all die negativen Nachrichten über mich hinweg ziehen zu lassen. Nein, egal wie sehr ich mich anstrenge, sie beeinflussen einfach mein Gemüt. Radio, TV, Smartphone, die Aufnahmekanäle kann ich ohne weiteres alle schließen. Aber die Hälfte der Gäste blieb im Dezember weg. Corona-Nachrichten drücken von der einen Seite, der Weihnachtsmarkt stillt den Hunger der Stadt nach sozialem Leben. Von beiden Enden gleichzeitig kräftig gedrückt – da sahen mein Mann und ich gar keinen Sinn mehr, überhaupt noch die Tür aufzuschließen. Kurzum: Wir wollten nur weg! Weg vom kalten Winter, weg von der schlechten Stimmung, weg von der Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit.

Nichts wie weg.


Am liebsten wären wir auf die Azoren geflohen. Sao Miguel und Terceira, beide Inseln gefallen uns. Pico, Faial oder Horta, reizen uns, alles wäre hier neu für uns. Aber es gibt so wenige Flugverbindungen dorthin (Corona), also sollen wir lieber auf dem Festland bleiben. Wir entschieden und für die Algarve, und für dieselbe Hotelanlage, die ich bereits im September 2021, in der Euphorie, zu glauben, dass wir in diesem Winter zum normalen Leben zurückkehren würden, für zwei Wochen inklusive Flug gebucht hatte. Doch im Dezember wurde der Hinflug gestrichen. Für eine Flugalternative, mit um zwei Tage gekürztem Aufenthalt, sollten wir 200 Euro hinzu zu zahlen? Nein danke. Dann bleiben wir lieber zu Hause.


Dann packte uns das „Nichts-wie-weg-Gefühl“. Wir haben einen groben Eindruck von der Algarve aus zwei früheren Reisen. Wir wissen, dass hier traditionell „natürlich“ gekocht wird. Unsere Allgemeinwissen besagt, dass das subtropische Klima im Winter zwar Regensaison hat, aber sehr viel weniger Niederschlag fällt, als in Deutschland. Es wurde tatsächlich relativ schlechtes Wetter vorhergesagt. „Wenn wir angekommen sind, dann scheint die Sonne jeden Tag“ habe ich zu meinem Mann gesagt. Es war in der Tat so: Jeden Tag genießen wir den warmen, prallen, angenehmen Sonnenschein. Wir schauen uns Sonnenaufgang und Sonnenuntergang am Meer an, hören das Meer rhythmisch vor sich hin rauschen. Es hat eine extrem beruhigende Wirkung auf mich und auf uns beide. Heute ist der 6. Tag nach unserer Ankunft in Olhos d’Água. Es kommt uns beiden vor, als lebten wir schon seit einem Monat hier. Zum ersten Mal fühlten wir uns mitten im Urlaub in einem fremden Land, in dem wir die Sprache nicht beherrschen, so richtig angekommen, als wäre die Algarve unsere Wahlheimat. Vielleicht wird sie demnächst unser Quartier für die kälteste und dunkelste Jahreszeit. Ab jetzt Jahr für Jahr?


Das „Angekommen-sein“ ist ein in sich ruhendes, entspanntes, zufriedenes Gefühl. „和“ würden zu diesem Gemütszustand passen. Harmonie. Verbundenheit. Frieden. Man ist zu Hause, auch wenn man fremd ist. Erinnerungen werden wach. Inspirationen sprudeln wie Springbrunnen. Ich schreibe gerne und genieße das Schreiben. Hier in Olhos d’Água brauche ich nicht vergebens nach Themen zu suchen. Ich werde ich, die Gießkanne der Natur, die alle meine fünf Sinne gleichzeitig wach werden lässt, gießt ständig über mein Gehirn. So brauche ich mich nur hinzusetzen, mit einem blauen Kugelschreiber und einigen Seiten DIN A5 Papier schreibe ich das Diktat nieder, das mir das liebe Universum ins Ohr flüstert.


Wir brauchen keinen Wecker zum Aufstehen. Wir schlafen die Nacht durch. Gestern Abend vor dem Schlafengehen haben wir untereinander ausgemacht, dass wir im Dunkeln aufstehen, zum Strand Praja da Falésia fahren, um Punkt sechs Uhr wachten wir beide gleichzeitig auf. Wir fühlten uns wach, fit und ausgeschlafen.10 km liefen wir insgesamt, der Strand war fast menschenleer. Innerhalb von 2 Stunden trafen wir auf eine Hand voll Spaziergänger und zwei Muschelfischer sowie einen Fischhändler.

Von der Ferne sah ich einen Menschen, der mit einem Korb an einer Stange ins Meer ging, bis ihm das Meerwasser bis zur Hüfte reichte. Dann fing er an zu fischen. Und kurze Zeit später, bevor ich es realisieren konnte, stand er vor mir und kippte seine Beute vor mir auf den bereits bestehenden Haufen. Der Herr neben ihm müsste sein Fischer-Kumpel sein. Ich fragte: Direkt essen oder vorher kochen? Der Fischhändler, so stellte es sich später heraus, übersetzte vom Englischen ins Portugiesische und dann die Antwort vom Fischer zurück für mich: „Kochen!“ Der Fischerkollege siebte die Ernte einen Schub nach dem anderen. Die kleinen Exemplare der Dickschaligen Trogmuschel (Amêijoa-Branca) fallen auf einen Haufen daneben und die größeren taten sie in einen Eimer. Und warum taten sie das? Weil nur die großen verkauft werden, die kleineren werden dem Meer zurückgegeben. Das nenne ich Naturschutz in live! Mensch bin ich stolz auf mich, dass ich ohne Portugiesisch diese kleine Konversation zustande brachte. Für 10 Euro pro Kilo durfte ich sogar ein Kilo frische Amêijoa-Branca kaufen und damit unser Abendessen zubereiten. Der Fischer meinte, bevor man sie kocht, sollten sie zwei Stunden in klarem Wasser liegen, damit sie den Sand ausspucken können. Den Sinn konnte ich mir selbst zusammenreimen, weil er mir beim Probieren einer fangfrischen Muschel von seinem Haufen zugesehen hat. Und bestimmt war der Biss auf die Sandkörner laut genug, dass es ihm leid tat. Ich traute mich dir rohe Muschel deswegen zu probieren, weil sie ja „Sashimi pur“ war! Ich folgte bloß dem Slogan „natürlich essen“ von Bistro Ginkgo, ohne in dem Moment das Bewusstsein zu haben, dass ich auch mein eigenes Gehirn bereits zum Teil erfolgreich neu programmiert habe.


Zurückkehren zu den Wurzeln, einen oder mehrere Gänge zurückschalten, zu mir selbst finden, ein besseres und glücklicheres Ich formen, mehr Harmonie mit meinem Umfeld kreieren … Das sind Dinge, die ich mir für das neue Jahr 2022 gewünscht habe und sie mir immer noch wünsche.


Danke Algarve, danke Olhos d’Água, dass ich diesen neuen Anfang bei Dir gefunden habe. Wir haben unseren Aufenthalt bereits verlängert. So habe ich genug Zeit, um die gesunde Lebensart für mich selbst zu formen und sie zur Gewohnheit werden zu lassen, wie ich als Kind einst das Schreiben der chinesischen Schriftzeichen erlernte.

Und viel wichtiger noch: Ich möchte meine „Kodierung“ der eigene Gesundheit und des Glücksgefühls mit der Welt teilen. Denn wären wir alle glücklich und gesund, so besäßen wir alle ein starkes Immunsystem, das böse Viren wie Corona keinen Spielraum lässt. Viren gibt es schon unglaublich viel länger als höhere Lebewesen, Säugetiere oder gar den Menschen. Wir und alle unsere vorherigen Evolutionsstufen waren schon immer den Viren ausgesetzt. Das wir Menschen existieren und fortfahren zu existieren zeigt: Warum sollte die Menschheit Angst vor einem Virus haben?


In der Hoffnung auf ein starkes Immunsystem wünscht Ihnen einen guten Appetit,


Ihr Bistro Ginkgo Team

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