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3 Rùwèi

Hymne an das natürliche Essen – Bistro Ginkgo von innen


Von Min Busch, Am Wiesensee, den 8. Juni 2021


3 Ruwei (入味 rùwèi) mit Teriyaki


Der chinesische Begriff Ruwei (入味 rùwèi) bedeutet wörtlich: Eingedrungener Geschmack. Es ist ein Adjektiv und beschreibt den Idealzustand, wenn in einem Gericht der Geschmack von einer Zutat in einer anderen Zutat herauszuschmecken ist. Dieses Ziel erreicht man oft durch langes Köcheln und starkes Reduzieren. Entscheidend für erfolgreiches „Ruwei“ ist nicht nur die Komposition der Soße, sondern das Gesamtkonzept. Ein umfangreiches Grundwissen ist die Voraussetzung: Welche Zutaten passen zusammen? Mit zusammenpassen meine ich, dass eine bestimmte Zutat mit anderen Zutaten zusammen deutlich besser schmeckt, als die jeweilige Zutat einzeln.


Die Entwicklung des beliebten Gerichts „Teriyaki Hähnchen à la Bistro Ginkgo“ erzählt den bisherigen Prozess des Strebens nach „Ruwei“: Teriyaki ist sowohl in Ostchina als auch in Japan sehr beliebt und populär. Shanghai und Tokio haben beim Geschmack von Teriyaki gemeinsam: Bestehend aus Sojasoße, Alkohol (in Form von Reiswein) und Zucker. In Shanghai nennt man dies „rot kochen“. In Japan fügt man zu der Grundkomposition von Teriyaki neben Sake zusätzlich Mirin hinzu, wobei Mirin wiederum aus Branntwein und Zucker besteht.


Mir persönlich gefällt das chinaweit berühmte Gericht „Schweinerippchen Wuxi Art“ am besten. Man nehme Essig zu den oben genannten drei Basisgewürzen hinzu und verleiht dem Teriyaki-Geschmack eine sehr interessante Tiefe. Dies funktioniert nur, wenn man das Verfahren Köcheln (炖 dùn) mit starkem Reduzieren der Soße (收汁 shōuzhī) abschließt. Obwohl der Essig komplett verdunstet, bekommt man einen völlig anderen, ja deutlich besseren Geschmack – ich vermute, weil der Essig Calcium vom tierischen Bestandteil löst. Also gesund und lecker zugleich, was will man noch mehr? Um dem Essig „Futter“ zu geben, benötige ich etwas Fett-, Knochen- und Hauthaltiges, wie zum Beispiel Lachs, Schweinerippchen oder Hähnchenflügel. Zu Bistro Ginkgos Bestseller „Teriyaki Lachs“ werde ich einen extra Beitrag schreiben. Doch jetzt konzentriere ich mich auf das Gericht „Teriyaki Hähnchen“.


Am Anfang war es Teriyaki Hähnchenflügel – dieses Gericht koche ich seit zwanzig Jahren schon immer gerne zu Hause, es wird von meinem Mann und mir sehr geliebt. Nun, Deutsche wollen keine Knochen. Also kaufte ich Hähnchenschenkel mit Knochen ein, und zugleich etwas Hähnchenbrust. Das Fleisch der Hähnchenschenkel löste ich vom Knochen, kochte den Knochen mit im Gericht und nahm ihn beim Einpacken für den Kunden wieder heraus. Weil ich ja den Geschmack vom Knochen brauche, um den Umami-Geschmack in diesem Gericht zu steigern.


Schnell stellte ich fest, dass diese Vorgehensweise viel zu aufwendig ist, als das sie für einen Restaurantbetrieb einsetzbar wäre. Zudem ist Hähnchenbrust bei Deutschen sehr beliebt, weil sie wenig tierisches Fett enthält. Also lautet die Aufgabenstellung für mich: „Wie kombiniere ich Teriyaki mit dem mageren Hähnchenbrustfleisch?“ Ich suchte einen Kompagnon zum Köcheln und Kochen. Als Erstes fällt mir ein: Möhren. Möhren haben die Eigenschaft: Je länger gebraten, desto besser. Also werden die Möhrenstücke in Rapsöl gebraten, lange, auf großem Feuer, manchmal entsteht eine leicht braune Schicht an der Oberfläche – das ist die Voraussetzung für das spätere Ruwei. Dann kommen Hähnchenfleischstücke hinzu in den Wok, somit werden sie in diesem durch Möhren leicht gebräunten Öl gebraten. Der gesunde Aspekt ist, Vitamin A in Möhren ist öl-löslich, somit wird das Vitamin A Möhren für den Körper zugänglich, für unsere Augen und Leber.


Doch einige Gerichte später fehlte mir etwas an diesem Gericht: Möhren und Teriyaki, süß und süß, Hähnchenbrustfleisch hat bekanntlich wenig eigenen Geschmack. Ich brauche etwas Geschmacksintensives und wurde bei Stangensellerie fündig. Wenn die chinesische Selleriesorte verfügbar wäre, so hätte ich die genommen, weil sie einen sehr starken, medikament-ähnlichen, eigenwilligen Geschmack hat. Der deutsche Stangensellerie geht zwar auch in dieser Richtung, ist aber viel milder. Er hält das lange Kochen einigermaßen gut aus, und die faserige und knackige Eigenschaft möchte ich beibehalten, also füge ich den Stangensellerie erst später in den Wok hinzu, erst mitten beim Köcheln.


So lief es auch etliche Wochen, bis ich eines Tages das Gericht „Wirsing mit Rinderhack“ durch Zufall zu seinem Gipfelpunkt gebracht habe. Nun, Wirsing ist ein deutsches Gemüse, die chinesische Küche kennt ihn gar nicht. Ich habe ihn kennengelernt, nachdem ich Rosenkohl zu lieben begann. Zusätzlich zu den beiden gemeinsamen Eigenschaften „Bitter im Geschmack“ sowie „Öl-saugend“ unterscheidet sich Wirsing wesentlich vom Rosenkohl: Es ist unter extrem großem Feuer nicht kaputt zu kochen! Ja Wahnsinn! So was an Gemüse habe ich noch nie erlebt!


Eines Abends musste ich unter Zeitdruck das Gericht „Wirsing mit Rinderhack“ mit extrem starkem Feuer reduzieren, und setzte den Wok aufs 6 KW Feuer – was ich normalerweise bis dahin „nur“ zum Wasserkochen fürs Blanchieren verwendet habe. Ob dies gut geht, fragte ich mich? Und wie! Als Ergebnis bekam ich halb zusammengerollte Wirsingstreifchen, und es schmeckte wie chinesisches Meigancai (梅干菜 méigāncài), ein getrocknetes und wieder aufgeweichtes Gemüse - extrem aufwendig in der Herstellung, aber mit sehr viel mehr Umami-Geschmack als dasselbe Gemüse, wenn man es frisch verwendet.


Und plötzlich bekam ich eine neue Nutzung für Wirsing: Wirsing stark reduzieren = Meigancai Geschmack. Diese wunderbare Erkenntnis lasse ich natürlich nicht auf sich ruhen. Sofort dachte ich daran, dass Wirsing perfekt zum „Teriyaki Hähnchen“ passen würde. Die Reihenfolge müsste so sein: Rapsöl in den Wok, dann: Möhren, Wirsing (saugt das Öl fast komplett auf), Hähnchenstücke, hausgemachte Teriyaki-Soße (bestehend aus japanischer Sojasoße, Zucker und Essig – ohne Alkohol), aufgeweichte Shiitake-Pilze in Stücken. Et voilà! Das war die Geburtsstunde des Gerichtes „Teriyaki Hähnchen à la Bistro Ginkgo“. Ab diesem Moment habe ich das Gefühlt, dass es von der Komposition her den perfekten Punkt erreicht hat. Wenn man etwas hinzufügt, dann wäre es zu viel; wenn etwas weggelassen wird, dann wäre es zu wenig.


Für mich ist der Zeitpunkt für dieses Gericht gekommen, es in Form eines Rezeptes festzuhalten. Und es ist auch klar, dass das Gericht auf unserer Menükarte seinen festen Platz bekommen hat. Denn die Beliebtheit eines Gerichtes sagt mir, ob die Komposition gelungen ist oder nicht. Insbesondere, ob es Kunden gibt, die wiederholt dasselbe Gericht bestellen. Im Falle von Teriyaki Hähnchen habe ich in der Tat den treusten Kunden gefunden. Er bestellte jedes Mal dieses Gericht – bis auf ein einziges Mal, als er statt des Teriyaki Hähnchens zwei andere Gerichte bestellte. Und was tat Bistro Ginkgo? Wir kochten dem Stammkunden eine kleine Portion Teriyaki Hähnchen als eine kleine Überraschung: Denn wir möchten uns herzlichst bedanken, dass er mich diesen ziemlich langen Weg von Anfang bis zur Festlegung des Rezeptes ständig und treu begleitet hat.


Übrigens, letzte Woche wollte ich „Ich“ sein und so boten wir „Teriyaki Hähnchenflügel mit Knoblauch“ an. In der ersten Woche waren wir vorbereitet, es bestellte aber niemand. Also aßen wir am Sonntag selbst die Flügel auf[1]. In der zweiten Woche des Testes haben wir wieder Hähnchenflügel gekauft. Und es bestellte wieder niemand. Da wir uns nicht wieder am Sonntagabend zum Hähnchenflügelessen verdonnern wollten, haben wir uns samstags für die Flügel, den kleinen Vorrat für die Kunden, entschieden. Und was passierte? Der Teriyaki-Hähnchen-Fan-Gast bestellte am Sonntagabend das neue Gericht „Teriyaki Hähnchenflügel mit Knoblauch“ – und unser Vorrat war leider aufgebraucht. So mussten wir uns entschuldigen und kochten ihm das Teriyaki-Hähnchen „normal“. Sie können glauben, mich als Köchin hat es mehr geärgert als den Gast!


Ich habe diesen Vorfall fest im Hinterkopf und werde ihm bei seiner nächsten Bestellung dieses Gericht nachreichen.


Guten Appetit

wünscht das Bistro Ginkgo Team


Am Wiesensee, den 8. Juni 2021

[1] Unsere Öffnungszeiten sind Donnerstag bis Sonntag.

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