Hymne an das natürliche Essen - Bistro Ginkgo von innen
10 Warum Bistro Ginkgo Bistro Ginkgo heißt
Von Min Busch, Olhos de Água, Balaia Golf Resort, Mittwoch, den 19. Januar 2022
Wie soll unser „Laden“ heißen, fragten wir uns gleich zu Anfang. Wir hatten entschieden, in Duisburg eine freie Gaststätte zu suchen. Nachdem wir die Lokalität „Am Buchenbaum 20“ in Duisburg gefunden war, lagen Namen wie „Am Buchenbaum“ oder „Zur Buche“ nah. Die Buche ist ein stolzer Baum. Ein alter, freistehender Buchenbaum ist wunderschön. Ein solches Prachtexemplar wird wohl mal hier in Duisburg als Namensgeber gestanden haben. Hier, Am Buchenbaum. Dieses Bild würde eher zur deutschen bürgerlichen Traditionsküche passen. Ich will aber regionale, saisonale Zutaten mit typisch chinesischer Art kochen. „Zur Parkuhr“, in Erinnerung an Deutschlands erste Parkuhren, in den 50er-Jahren in der Straße Am Buchenbaum aufgestellt, würde vermutlich eine Hundetoilette assoziieren. Dabei haben Hunde nicht mal Zutritt zu unserem Gastraum. Ein passender Name mit Bezug zur Lage fiel uns nicht ein.
Die chinesische Hausmannskost zu meiner Kindheit bestand zu über 90% aus pflanzlichen Zutaten, nur zu 10%, sogar weniger, aus tierischen. Abgesehen davon, dass in Deutschland ein anderes Klima herrscht und darum andere Gemüsesorten verfügbar sind, schmecken selbst die scheinbar selben Gemüsesorten anders, wenn man es im Detail betrachtet. Also suchte ich als Namensgeber nach einer genießbaren Pflanze, die schön elegant ist und zugleich Ost und West verbindet.
Hin und wieder kommt ein Profi-Food-Fotograf auf uns zu und möchte sein Marketingkonzept an uns verkaufen. Einmal professionelles Foto-Shooting mit meinen diversen Gerichten auf schönem Service angerichtet und mit edlem Besteck plus einige Videos zum Beispiel für die Webseite und den ein oder anderen Post auf Instagram. Angebotspreis: 2.500 Euro. Mein Mann und ich wären froh, wenn wir mit 2.500 Euro einen gescheiten Tisch und dazu einige Stühle für den Gastraum erstehen könnten. Ich glaube ja an seine fachlichen Kompetenzen, einem Start-Up-Unternehmen durch eine adäquate Internetvermarktung so helfen zu können, dass der Umsatz durch die Decke geht. Aber die Voraussetzungen müssen geschaffen sein: Das Produkt muss stehen, die Menükarte muss Begeisterung beim Publikum hervorrufen, die Kundschaft für Innengastronomie muss frei kommen und gehen dürfen. Wir betrachten unsere ersten Monate, wenn nicht Jahre, als Zeit für unser „Pilotprojekt“. Wir erlauben uns daher, so lange zu üben und zu testen, bis die Menükarte „rund“ wird. Wir haben nicht einmal eine Zeitvorstellung, wie lange das „Pilotprojekt“ maximal dauern darf. Denn in meinen Augen hängt es einfach davon ab, ob die von der Corona-Pandemie gestörte Zeit als „0“ oder als „1“ zählt. Letztendlich ist es uns auch völlig egal: Denn wir haben gelernt loszulassen, wenn wir sowieso keinen Einfluss ausüben können. Täten wir das nicht, würde das Endprodukt, die Summe aller meiner Gerichte, nicht schmecken. Wir haben das Bistro Ginkgo eröffnet, weil wir Qualität erzeugen und konstant liefern wollen, weil ich mich nach einem großen Freiraum für meine handwerkliche Kreativität gesehnt habe. Manche Leute haben Hobbies, die viel Geld kosten und das akzeptiert man als eine Selbstverständlichkeit. Ich spiele auch gerne Farbkombinationen, um nicht das heilige Wort „Malen“ in den Mund zu nehmen. Bloß das Kochen macht nicht nur mich, sondern auch mein Publikum viel glücklicher, weil man das Ergebnis meiner Kreation sogar essen kann!
Und weil wir der Meinung sind, dass das Wichtigste beim Essen das Essen selbst ist, verzichteten wir bewusst auf alles, was die Aufmerksamkeit unserer Kunden woanders hinlenkt. Mit anderen Worten: Die Wände bleiben weiß, die Lampenschirme alle einheitlich weiß, Geschirr und Besteck von guter Qualität, aber schlicht. Umso weiter und sofort. In dieser Logik garniere ich meine Gerichte nicht. Auch nicht, weil ich dafür keine Zeit ver(sch)wenden möchte. Zugegeben, eine Dekoration auf einem Gericht mag ja auf dem Foto farblich gut aussehen, aber für mich ist es kontraproduktiv. Zum einen besetze ich in einer Person alle Posten in unserer Küche. Da bleibt in der Regel keine Zeit für Arrangieren und Dekorieren. Zum anderen geht es um den Geschmack, die Dekoration müsste den Geschmack verbessern, das wäre ihre Existenzberechtigung. Aber ist es dann nicht naheliegend, das Gericht gleich um diese Zutat ergänzt zuzubereiten, anstatt anschließend mit zusätzlichem Aufwand, das heißt unter Ressourceneinsatz, zu damit dekorieren? Dekorationen der Dekoration willen, kann viel zu intensiv schmecken. Diese Intensität würde für einen Moment den gesamten Gaumen in Beschlag nehmen; danach bräuchte man einen ordentlichen Schluck japanischen Sencha (gedünsteten grünen Tee), um damit die Geschmacksknospen zu spülen. Also warum etwas hinzutun, um anschließend auf den „Reset“-Knopf zu drücken? Außerdem garnieren genügend andere Köche mit solcher Methodik – es mangelt nicht, wenn ich es nicht auch so handhabe.
Mit dem Eröffnen des Bistro Ginkgos habe ich mich auf die lange Reise der Selbstfindung begeben, auf der Suche nach dem wahren Ich. Selbstverständlich gehen mein Mann und ich gemeinsam diesen Weg; doch in meiner Erzählung möchte ich mich auf das innere „Ich“ konzentrieren. Nach einer Weile kam es mir plötzlich in den Sinn, dass das Ich, wonach ich vorher suchte, gar nicht existierte. Im Bereich des professionellen Kochens bin ich auf einem absoluten Neuland. Da „Übung“ bekanntlich den „Meister“ macht, brauche ich pro Gericht mindestens tausend Mal Übung, bis der „Gipfel der Gefühle“ erreicht wird, selbst wenn ich jedes Gericht von Bistro Ginkgo selbst erfunden bzw. nach Tradition neu interpretiert habe. Genauso wie die geschriebenen Noten das Eine sind und die Interpretation das Andere. Jedes Gericht trägt denselben Namen; aber gekocht und dem Gast vorgesetzt, ist es jedes Mal im Detail ein klein bisschen anders. Sie schmecken alle gut, dennoch gibt es unter ihnen Komparativ und Superlativ.
Ich bin der Meinung, dass ein noch so erfolgreicher Marketingspezialist, der auf die Gastronomie spezialisiert ist, mit seiner Kunstfertigkeit als Fotograf den Geschmacksunterschied zwischen meinen besseren, und meinen guten sowie meinen besten Teriyaki Lachs-Gerichten nicht klar rüberbringen kann. Nur ein „Lachs-Profi“, der sich jedes Mal aufs Neue für Teriyaki Lachs entscheidet und lieber Teriyaki-Lachs in kleiner, mittlerer und großer Portion bestellt, anstatt sich für ein zwölf-Gänge-Menü zu entscheiden, kann auf dem Foto erkennen, ob der Lachs was geworden ist oder nicht. Hier sehe ich auch einen Konflikt zwischen Koch und Fotograf. Der Koch strebt nach dem besten Geschmack. Der Fotograf strebt nach dem schönsten Bild. Sei es mit handwerklicher Fachkenntnis, sei durch Arrangement und Dekoration, sei es mit Hilfe von digitalem Push-up: Die Bilder würden den Gast täuschen. Für Jemanden, der zuvor niemals bei uns gegessen hat, was ja aufgrund unserer kurzen Unternehmensgeschichte bei über 90% der Kundschaft der Fall ist, wären perfekte Fotos Irreleitung. Also machen wir die Fotos lieber selbst. Sie sollen 100%ig das Gericht darstellen, was ein Kunde auf dem Teller hatte.
Japaner lassen gerne aufwendig für jedes Gericht Wachsmuster herstellen, 100%ig realitätsgetreu, und stellen alle Gerichte so im Schaufester zur Schau. Sogar die Portionsgröße wird somit klar dargestellt. Nichts wird bei der Show gezeigt und beim richtigen Essen weggelassen und umgekehrt. Für mich darf das Marketing niemals zu viel versprechen. Lieber kommen am Tag einige Kunden weniger, dafür kommen sie immer wieder gerne zurück und werden unsere Stammkunden, als dass ich sie mit meinem eigenwilligen Gerichten böse überrasche und sie nie wieder den Weg zu uns finden.
Je länger ich für das Bistro Ginkgo arbeite, desto stärke empfinde ich die mentale Stärke, mit der das Bistro Ginkgo auf uns einwirkt. Doch warum Ginkgo? Zunächst einmal sind geröstete Ginkgo Früchte meine allerliebsten Snacks. In Peking gibt es sie zur goldenen Herbstzeit auf dem Frischmarkt zu kaufen, oder am Straßenrand vor dem Eingang der Tempelanlage der großen Erleuchtung (大觉寺, Dàjué Sì ausgesprochen). Im Innenhof dieser Dàjué Tempelanlage steht ein 1000 jähriger Ginkgo-Baum, dessen Stamm zum Teil hohl war und mit Zement zugemauert worden ist, um den Baum statisch zu stützen. Als wir zwischen 2004 und 2013 in Peking lebten, fuhren wir jedes Jahr dorthin, wenn der alte Ginkgo-Baum im Oktober seine goldene Prachtkleidung abwarf, um die Dächer des Tempels samt Innenhof mit den fächerartigen eleganten Blättern zu bedecken. Dieser luxuriös goldene „Ginkgoblatt-Regen“ war jedes Jahr ein Balsam für meine Seele. Jedes Blatt sieht anders aus; jedes davon zeigt seine eigene Schönheit.
Genauso müsste es dem genialsten Dichter der deutschen Literaturgeschichte, keinem geringeren als Johann Wolfgang von Goethe höchst persönlich, ergangen sein, als er das Gedicht „Ginkgo biloba“ schuf:
Ginkgo biloba
Dieses Baumes Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt,
Sind es zwey die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt.
Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Daß ich Eins und doppelt bin
15. September 1815
(Unter das Gedicht wurden zwei Ginkgo-Blätter überkreuzt geklebt.)
Da haben wir’s: Unser Logo, entworfenen von Goethe höchst persönlich und von uns nur graphisch übertragen, weil wir nun im digitalen Zeitalter leben. Farblich folgten wir dem Geschehen der Natur, alle vier Jahreszeiten durchlaufend: Gingko Blätter im zarten Grün steht für das Frühjahr, im kräftigen Grün für heiße Sommertage, Gold-gelb den Herbst – und kurz vor dem Winterbeginn wirft der Baum alle Blätter nieder, und so begibt er sich in den Winterschlaf.
Vor der Eröffnung wussten wir selbst zu wenig über das Geschäft, die Branche, die potentielle Kundschaft. Wir wussten nur eines: Dass wir nichts wussten! Wird es ein Restaurant, ein Imbiss, ein Café im französischen oder taiwanesischen Sinn? Die „Gussform“ „Bistro“ lässt genau die Flexibilität zu, die wir sie uns wünschten. Nach „unten“ hin kann ein Imbiss daraus werden; nach „oben“ hin kann ein Restaurant daraus werden. Bezüglich des Interior-Designs entschieden wir uns für das Nordische: Weiß, hell, einfach, ohne Schnörkel, warm, denn der Gastraum ist lang gezogen, bis auf das große Schaufenster in der Fassade fehlt mir einfach die Einstrahlung von Tageslicht.
Da meine Kochkompetenz auf chinesischen Wurzeln beruht, darf ein chinesischer Name natürlich nicht fehlen: 银杏食坊 fiel mir ein, der so viel heißt wie „Essensmanufaktur Ginkgo“. Mir ist wichtig, dass „Manufaktur“ als Hauptbotschaft im Vordergrund steht. Manufaktur, die so viel bedeutet wie alles per Hand hergestellt. Gemeint ist hier unser Prinzip, keine industriell vorgefertigten Produkte zu nutzen.
Ginkgo ist der älteste Baum auf unserem Planeten. Er steht für langes Leben, Stärke, Robustheit. „Resilienz“ ist nun seit Beginn der Corona-Pandemie in aller Munde. Wer alt wird, hat tiefe Wurzeln. Ich möchte zu den alten Wurzeln der Menschheit zurückkehren, mich davon ernähren, um mich selbst zu einem alten, gesunden Ginkgo-Baum zu entwickeln, der durch seine zahlreichen Samen seine Spezies weitergibt.
Goethes Gedicht „Ginkgo biloba“ spricht zudem die enge Verbindung zwischen „West“ und „Ost“ an, die in unserer Küche Gericht für Gericht erprobt wird, um sie als meinen „künstlerischen Stil“ wie einen roten Faden durch unsere Menükarte zu ziehen. Solange ich die Natur selbst hervorhebe, um zu hervorragenden, explosionsartigen Aromen zu gelangen, wäre es selbst für Goethe nicht mehr wichtig, seine Frage zu „erwidern“. Sind die Natur und die Aromen in demselben Gericht eins geworden, oder hat die Kultur des Kochens die natürlichen Zutaten entzweit? Werden die deutsche und die chinesische Küche bei Bistro Ginkgo vereint? Oder bleiben sie als zwei getrennte Küchen, bloß die Gerichte selbst erwecken Illusionen?
Klar ist, Ginkgo ist lecker. Ginkgo ist Medizin. Ginkgo ist robust. Ginkgo ist anpassungsfähig. Ginkgo ist schön. Ginkgo ist pflegeleicht. Ginkgo ist einzigartig elegant!
Ich wünsche mir, meine eigenwillige Kochfreiheit wird eines Tages zur Einzigartigkeit, so wie der Ginkgo es geschafft hat, unter allen Baumspezies etwas Besonderes und etwas besonders Schönes zu werden. Wenn wir bis dahin auf Hindernisse stoßen, dann werden wir immer von unserem Ginkgo ermutigt und unterstützt.
Wir fühlen uns glücklich und sicher, dass uns das Symbol „Ginkgo“ stets begleiten wird.
Guten Appetit
Wünscht Ihnen das Bistro Ginkgo Team
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